Kontinentalsperre führt 1806 zu eigener Zuckerproduktion

Am 15. September 1811 wird die Zuckerfabrik Mühlbach
in einer großen Feierstunde den Bauherren mit Urkunde übergeben

Von Georg Rolf Petersitzke
Im November 1806 verhängte Napoleon per Dekret über Festlandeuropa die Kontinentalsperre für englische Handelswaren. In dessen Folge wurde der damals importierte Rohrzucker, das "weiße Gold" sehr knapp und um ein vielfaches teurer.

Deshalb stieg das staatliche wie auch das unternehmerische Interesse an der Entwicklung einer eigenen Zuckerfabrikation und zwar aus Rüben.
Schnell entstanden kleine, häufig primitive Fabriken, die braunen Zucker aus Runkelrüben herstellten. Moritz Freiherr von Koppy erbaute 1806 eine Zuckerfabrik in Krayn (Schlesien), die man wohl als erste Fabrik ansehen kann, die auch wirtschaftlich arbeitete. Hier wurden täglich 35 Doppelzentner (dz) Rüben, in der ersten Kampagne insgesamt 550 dz verarbeitet. Der Schüler und Schwiegersohn von Koppy, Freiherr Friedrich von Lorenz ist Gründer und Betreiber der ersten Zuckerfabrik in Sachsen, in seinem Rittergut Mühlbach.
Im Spätsommer 1810 begann von Lorenz mit dem Bau seiner Fabrik für die Zuckergewinnung. Die Bauzeichnungen hatte Carl August Siegel, Architekt aus Leipzig, erstellt. Der Grundriss betrug im Inneren 70 mal 12,40 Meter und bis zur Traufe 7,30 Meter mit einem Schornstein von 35 Metern. Gleichzeitig errichtete er ein großes Wohnhaus mit großem Keller und Boden für die Lagerung von Produkten sowie ein Haus für den Verwalter und die Maschinisten. Etwa 100 Arbeiter beschäftigt er auf der Baustelle.
Alle benötigten Baumaterialien wie Steine, Sand, Lehm, Kalk und Holz hatte Freiherr von Lorenz aus der unmittelbaren Umgebung zur Bergung bzw. Fertigung vorgesehen. So wurden die Natursteine am Schatzberg von Steinbrechern gebrochen und Bossierern zugeschlagen. Die Ziegel aus Lehm fertigte man als Handstrichsteine am Bettelmann. Der Lehm wurde aus eigenen Lehmgruben gestochen und gesumpft. Nach dem Trocknen brannte man die Ziegel in Ziegelmeiler mit eigenem Torf. Dazu waren vier Ziegler aus den Luebschuetzer Thonwerken angestellt.
Hingegen sind die 30500 Handstrichbiber aus den Luebschuetzer Thonwerken zugekauft worden. Das gesamte Bau- und Rüstholz schlug man im Rittergutsforst Mark Schönstädt und fuhr es zur Schneidemühle Mühlbach. Nach Wässerung wurde es geschnitten. Der benötigte Sand und Kies wurde aus der eigenen Sandgrube herangefahren.
Alle Transporte wurden vom Gut mit Ochsen-Gespannen abgesichert. Im April 1811 war das Erdgeschoss mit einer viereinhalb Meter hohen Kreuzgewölbedecke aus Ziegelsteinen fertig gestellt. Zwei Monate später waren der 35 Meter hohe Schornstein, das Ziegeldach und die Nebengebäude beendet.
Die aus Schlesien gelieferten Anlagen montierte man ab April 1811. Dazu eine 12 PS Dampflokomobile von der Firma Franz Dinnendahl Essen sowie eine Rübenwasch- und Schnitzelanlage von der Firma Geb. Aston & Co. Magdeburg, die mit zwei Göpeln angetrieben wurden. Dazu waren 27 Simmentaler-Ochsen als Zugtiere vorgesehen, die nach einer dreiviertel Stunde gewechselt werden mussten. Am 28. Mai 1811 wurde Richtfest gefeiert. Daran nahmen Vertreter der Königlich Sächsischen Finanzbehörde und Mitarbeiter aus der Zuckerfabrik Krayn teil. Leider blieben die geladenen "Wurzener Räthe", ohne Angabe von Gründen, dieser Feier fern.
Am 15. September 1811 wurde die Zuckerfabrik in einer großen Feierstunde den Bauherren mit Urkunde übergeben. Viele Honoratioren aus Sachsen waren anwesend. Die Baukosten betrugen 30000 Taler, diese wurden durch einen Kredit von 9000 Talern und Eigenmitteln aufgebracht. Die Brandkassenversicherung betrug 16225 Taler. Die Firma nannte sich "Freiherrlich Lorenzische Zuckerfabrik in Mühlbach".
Die erste Kampagne zur Verarbeitung der Zuckerrüben begann im November 1811 und dauerte drei Monate. In dieser Zeit wurden 16000 Zentner Rüben aus eigenem Anbau zu 585 Zentner Zucker bzw. Zuckerprodukte wie beispielsweise Sirup verarbeitet. Auch in den Wintern 1812/1813, 1813/1814 und 1814/1815 wurde Rübenzucker hergestellt. Die Belegschaft bestand aus einem Werk-, einem Siede- und einem Brennmeister, einem Schreiber, 16 Arbeitern und zwei Tagelöhnern.
Wirtschaftliche Schäden von beträchtlichem Ausmaß erlitt die Fabrik durch die militärischen Ereignisse des Jahres 1813. Beim Vorbeimarsch der französischen Truppen ging ein beträchtlicher Teil der Rübenzuckerernte sowie die zum Antrieb eingesetzten Ochsen verloren. Die napoleonische Politik hatte mit der Kontinentalsperre die Mühlbacher Zuckerfabrik erst ermöglicht, nun gefährdete diese den Fortbestand durch abenteuerliche militärische Aktionen.
Später, nach Aufhebung der Kontinentalsperre, kamen wieder erhebliche Mengen Rohrzucker auf den Markt, was ein starkes Absinken der Preise nach sich zog und die Produktion unwirtschaftlich machte. Um Verluste auszugleichen erweiterte 1814 von Lorenz die Fabrik um eine Brennerei. Nach der Rübenkampagne ging sie in Betrieb. Hier wurden Kartoffeln und Getreide zu Alkohol verarbeitet. Es war in der Zukunft geplant, Likör, Eau de Cologne und Essig herzustellen. Da bis Ende 1812 keine Unterstützung von den Wurzener Räthen erfolgte, die von Lorenz zugesagt war und er sein ganzes Vermögen eingesetzt hatte, unternahm von Lorenz einen letzten Versuch mit Unterstützung Königlich Sächsischen Finanzbehörde.
Die "Stiftscanzley zu Wurzen" erteilte schließlich am 30. Juli des Jahres von Lorenz die erbetene "Concession für die Betreibung der Runkelrübenzuckerfabrik" mit einer dreijährigen Befreiung der Accisezahlung auf seine Produkte. Die "Räthe zu Wurzen" müssen diese Angelegenheit trotzdem nicht mit dem nötigen Nachdruck umgesetzt haben. Nach all den Behinderungen und Verärgerungen verkauft schließlich von Lorenz 1815 das Rittergut Roitzsch und 1817 das Rittergut Burkartshain, schließlich auch das Rittergut Mühlbach mit der "Zuckerfabrik Mühlbach" an den Handelsherrn Johann Christian Friedrich Bach aus Leipzig für 152000 Thaler. Dieser schloss die Zuckerfabrik nach der Kampagne 1818, nur die Brennerei wurde weiter betrieben. Freiherr Friedrich von Lorenz zog sich nach Krayn auf das Rittergut seines verstorbenen Schwiegervaters zurück und betrieb dort mit seinem Schwager die ansässige Brennerei, Zuckerfabrik- und das Rittergut weiter. Im Jahr 1848 verstarb er in Krayn.
Bereits 1819 kaufte Christian Heinrich Grünler das Rittergut Mühlbach für 148000 Taler. 1836 pachtet Alexander Ludwig Krause die Zuckerfabrik und nahm die Zuckerproduktion wieder auf. Nach zwei Kampagnen stellte er am Jahresende 1837 die Produktion ein und demontierte die Einrichtung. In Liemehna führte er die Produktion bis 1841 weiter. 1840 lässt Julius Heinrich Grünler eine neue Brennerei einrichten und begann damit im gleichen Jahr wieder mit dem Brennen. 1850 ließ Carl Friedrich Weidhaas in der Brennerei die Zuckerfabrik wieder aufleben. Der Antrieb wurde jetzt über eine Dampfmaschine von Lanz DCC 22 mit 39 PS Leistung abgesichert.
1875 schloss der Verwalter des Rittergutes Wilhelm Heinrich Schnetger wegen Unrentabilität die Zuckerfabrik, die Brennerei wurde weiterbetrieben. Die Brennerei und das angrenzende Wohnhaus brannten am 14. September 1888 bis auf die Grundmauern nieder. Die herbei geeilten Feuerwehren von Nemt und Burkartshain konnten nur den Übergriff der Flammen auf das angrenzende Verwaltergebäude verhindern. Im November 1889 war die Brennerei wieder aufgebaut und konnte weiter produzieren.
Ebenso wurde das Wohnhaus neu gebaut und wieder bezogen. 1895 kaufte der Kaufmann Carl Heinrich Ferdinand Jung aus Leipzig das Rittergut Mühlbach. Am Jahresende 1914 wird aus wirtschaftlichen Erwägungen die Brennerei geschlossen, die Einrichtung demontiert und verkauft.

Die Mühlbacher Brennerei im Jahre 1938. Sie ist heute eines der

ältesten Fabrikgebäude der früheren Industrialisierung. Foto: Archiv

    Quelle: LVZ von 20.10.2014, Seite 29