Marketingkoordinator Sauer sorgt sich um Entwicklung der Innenstadt und fordert Stadtrat zum Handeln auf
Nach teils hitzigen Diskussionen verabschiedete der Stadtrat im April 2011 das Wurzener Einzelhandelskonzept(EHK) als Handlungsrichtlinie für die Zukunft
. Zuvor fand eine Befragung der Einwohner und Händler statt. In dem knapp 100-seitigen Papier wird festgestellt, dass Wurzen zwar eine sehr gute Verkehrsanbindung besitzt, aber eben auch ein "unterdurchschnittliches Kaufkraftniveau" im Freistaatvergleich. Zum Zeitpunkt der Erhebung verfügte die Stadt über einen Bestand von 189 Arbeitsstätten des Ladeneinzelhandels und Ladenhandwerks mit einer Verkaufsfläche von 37000 Quadratmetern. Darunter nimmt der Lebensmitteleinzelhandel mit 61 Betrieben 13000 Quadratmeter ein. Der Verkaufsflächenanteil der Innenstadt liegt gemessen am Gesamtbesatz bei lediglich 20 Prozent und wird als ausbaufähig bewertet. Fazit aus dem EHK: In den innerstädtischen Nebenanlagen ist eine höhere Fluktuation sowie höherer Leerstand zu verzeichnen, welcher durch die Sanierungsbedürftigkeit einiger Immobilien verstärkt wird. Zitat: "Der Bedeutungsverlust ist vor allem in der Wenceslaigasse ersichtlich, in der eine Umfunktionierung von Einzelhandelsflächen zu anderen Nutzungen und massiver Leerstand zu einer Standortabwertung geführt haben." So verzeichne der Einzelhandel in diesem attraktive Straßenzug nur noch 18 Prozent aller Gewerbeeinheiten.
Wurzen. Peter Sauer beobachtet die Entwicklung mit Argwohn und Sorge. Immerhin ist der 51-Jährige seit nunmehr anderthalb Jahren Stadtmarketingkoordinator auf Honorarbasis und geht schon deshalb mit offenen Augen durch die Stadt. So blieb es ihm nicht verborgen, dass innerhalb kürzester Zeit drei Läden im Zentrum Wurzens die Segel strichen – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. So zog das Geschäft Papeterie&Bürobedarf in die ehemalige Ringelnatz-Buchhandlung um, hinterließ dafür ein leeres Schaufenster in der Albert-Kuntz-Straße, Ecke Schuhgasse. Nur wenige Schritte davon entfernt sah Silke Nieslony von Hobby-Creativ keine Zukunft mehr. Und Gudrun Ehrlich verschloss die Tür von Leder-Schulze in der Wenceslaigasse.
"Wir sind momentan an einem Punkt, an dem sich sowohl die Stadtverwaltung als auch der Stadtrat überlegen müssen, wie damit umzugehen ist", resümiert Sauer die aktuelle Lage. Zugleich schlägt er vor, mit Beginn der Legislatur des neuen Parlamentes ein Gremium zu bilden, "das sich des Themas intensiv annimmt". Ideen und Vorschläge seinerseits wären vorhanden und könnten als Grundlage der Arbeitsgruppe dienen. Dabei hat Sauer vor allem den oberen Bereich der Wenceslaigasse und des Stadtgutes im Blick. Hier lägen die Schwerpunkte des Leerstandes.Bereits seit einiger Zeit arbeitet der studierte Diplom-Ingenieur an einer Bestandsstatistik, die sich vielleicht sogar als Angebotskatalog für Interessenten nutzen ließe. Demnach gibt es im Herzen der Stadt circa 90 Geschäfte – Albert-Kuntz-Straße, Wenceslaigasse, Markt, Jacobsgasse und Jacobsplatz sowie Domgasse, Badergraben und Martin-Luther-Straße. "Allein 15 stehen leer, neun würden sofort vermietbar sein. 40 verwaiste Läden sind es im gesamten Stadtgebiet." Oft seien der schlechte Ausstattungsgrad und die zu geringe Größe von durchschnittlich 40 bis 60 Quadratmetern Hemmnisse für eine Renaissance. Beim Stadtgut hingegen hält der Marketingkoordinator den Mangel an Publikumsverkehr für "hausgemacht, da der Frequenzbringer Sparkasse die mögliche Kundschaft schon vorm Innenhof abfängt". Doch wie soll die Stadt dem allgemeinen Trend begegnen? Sauer glaubt: "Ganz ohne finanzielle Anreize im Zusammenhang mit neuen Ideen wird es schwierig, die Entwicklung zu stoppen. Und da benötige ich die Hilfe der städtischen Entscheidungsträger."
Ebenfalls in den Fokus seiner Tätigkeit rückt der ehemalige Banker die Parkplatzsituation. Denn zu viele offene Fragen sorgen ihn. "Wieso zahle ich Parkgebühren am Badergraben und in der Martin-Luther-Straße, während zentrale Orte wie Markt und Jacobsplatz gebührenfrei sind?" Zumal, fügt Sauer an, speziell am Wochenende und in den Abendstunden auf dem Marktplatz wild geparkt werde. Zum Schluss spricht der gebürtige Wurzener noch ein Leitsystem für Touristen an, die Wurzen per Auto, aber auch per Rad entdecken wollen, und die bislang fehlenden Reaktionen auf den demografischen Wandel. "Dazu zähle ich übrigens das Absenken von Bürgersteigen, insbesondere für ältere Einwohner sowie natürlich für Behinderte oder Eltern mit Kinderwagen." Ein Stadtrundgang mit Vertretern dieser Gruppen sei demnächst geplant.
Von Kai-Uwe Brandt
Quelle: LVZ vom 24.07.2014, Seite 26